Bericht von Kilian Ullrich und Finn Knoop in Zusammenarbeit mit Kirsten Rigterink aus dem Seminarfach „Flucht und Migration in Pop, Film und Literatur“

Der letzte Programmpunkt vor unserer Abfahrt zurück nach Nordhorn war eine deutsch- oder englischsprachige Tour durch Neukölln. Geführt wurde unser Kurs von Firas, einem  Englischlehrer aus Aleppo (Syrien), der über das Mittelmeer nach Europa geflohen ist.

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Von ihm wurden wir an der Bushaltestelle trotz der Kälte warm und herzlich empfangen. Firas berichtete von seiner Flucht, seinem Leben in Syrien und nun in Berlin. Wir erfuhren von den Schwierigkeiten, Flüchtling in einem fremden Land zu sein, der Reiseroute nach Deutschland sowie den Gründen der Flucht.

Vor einem Supermarkt zeigte uns der Tourleiter Bilder von syrischen Speisen. Anschließend bekamen wir Karteikärtchen mit syrischen Wörtern. „Sucht die Geschäfte, deren Namen auf den Karten stehen!“, forderte uns Firas  lächelnd auf. „Alle Geschäfte befinden sich in der Sonnenallee!“ Und es war uns verboten, uns von unserer Mitschülerin Ala, die Arabisch kann, helfen zu lassen. Am Ende der Sonnenallee präsentierten wir unserem Guide die Lösung. Es war gar nicht so einfach, die fremden Zeichen zu deuten.

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Die letzte Station war das Refugio, eine gemeinschaftliche Unterkunft, inklusive Café, zur Aufnahme und Zusammenkunft von Flüchtlingen in Deutschland. "Ihr erinnert mich an meine Schüler", verabschiedet sich Firas von uns.

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Kreuzberg- Migration, Protest und Luxus in Berlins bekanntestem Viertel

Eine Führung durch Kreuzberg bekamen die Teilnehmer der Erasmus-Studienfahrt durch „StattReisen – Berlin“. Die drei Guides Jonas, Lotte und Angela begleiteten die Kurse durch das Viertel und verdeutlichten ihnen an markanten Punkten die Migrationsgeschichte dieses Bezirks. Hier der Bericht von Nicole Henk und Cindy Chau aus dem Seminarfach „Flucht und Migration in Pop, Film und Literatur“, die von Lotte geführt wurden.

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Kreuzberg war vor dem Mauerfall 1989 ein Randbezirk Berlins und liegt heute in der Mitte der Hauptstadt. Aufgrund der hohen Zahl an Bewohnern mit türkischen Wurzeln, seine vielen türkischen Cafés, Restaurants und Bäckereien ist Kreuzberg auch als „Klein-Istanbul“ bekannt.

Neben der Gastronomie gibt es zahlreiche Mietwohnungen, die ab 1980 instand besetzt wurden. Zunächst nur besetzt, später dann auch renoviert, um zu verhindern, dass die alten verfallenden Häuser abgerissen werden, und um dort leben zu können. Mit der Zeit stiegen die Mietpreise und heute sind die Mietpreise teilweise so hoch, dass insbesondere die Migranten ihre Häuser und damit ihr Viertel verlassen müssen.

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 Die Jens-Nydahl-Grundschule an der Admiralstraße besuchen fast ausschließlich Schüler mit Migrationshintergrund. Mit falschen Adressen versuchen Bewohner des Viertels, den Schulbezirk zu umgehen und ihre Kinder an anderen Grundschulen anzumelden. So  trennt die Jens-Nydahl-Grundschule die sozialen Schichten voneinander.

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Die Admiralstraße ist durch das Monument des „Doppelten Admirals“ gekennzeichnet. Das Denkmal erinnert an Heinrich Wilhelm Adalbert von Preußen, Admiral der preußischen Marine, aber auch an den Zeitverlauf. Der Admiral steht in Bronze auf einer Sanduhr. Sucht der Admiral mit dem Fernglas die alte inzwischen durch Abriss stark veränderte Admiralstraße?

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Ein weiteres Denkmal in Kreuzberg ist die Kesim-Gedenkstele, die an den türkischen Kommunisten Celalettin Kesim erinnert, der am 5. Januar 1980 bei einer Protestaktion gegen die drohende Militärdiktatur in der Türkei von den sogenannten Grauen Wölfen, türkischen Rechtsextremisten, ermordet wurde.

 

Historisch spielen Juden eine große Rolle in Kreuzberg. Von 1913 bis 1916 wurde die Fraenkelufer Synagoge errichtet. Diese Synagoge war sehr groß und wurde in der Pogromnacht von 1938 von Nationalsozialisten niedergebrannt. Das beschädigte Hauptgebäude wurde 1958 abgerissen und erhalten blieb nur die frühere Jugend- und Wochentagessynagoge, die heute ein jüdisches Gemeindezentren ist. Dass Juden auch 2019 nicht unbehelligt in Deutschland leben können, macht die Polizeipräsenz vor der Synagoge deutlich. Am Samstag, dem jüdischen Sabbat, stehen Polizeiwagen an beiden Seiten der Nebenstraße und auch wochentags wird die Synagoge bewacht. Seit 1991 ist die jüdische Gemeinde durch sogenannte Kontingentflüchtlinge angewachsen. Als „Kontigentflüchtlinge“ wurden Menschen mit jüdischen Vorfahren ermöglicht, aus den ehemaligen Sowjetstaaten nach Deutschland einzureisen.

Auch bekannt aus dem Roman ,,Gehen Ging Gegangen“ von Jenny Erpenbeck spielt der Oranienplatz eine wichtige Rolle für Berlin, besonders aber für Flüchtlinge der letzten Jahre. Auf dem Oranienplatz haben zwischen 2012 und 2014 Flüchtlinge in einem Protestcamp  gelebt, um gegen den Umgang mit Asylbewerbern zu protestieren. Die Aktivisten versammelten sich und kampierten monatelang auf dem Platz, um für ihr Aufenthaltsrecht zu kämpfen. Einen großen und durch den Investor gewollten Kontrast bildet dazu das Luxushotel Orania. Die großen Scheiben wurden mehrfach eingeschlagen und inzwischen werden sie nicht mehr ausgewechselt. Graffiti und beschädigte Scheiben weisen auch im Orania auf die Protestgeschichte des Viertels hin.

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“Das Heimatkleid” im Grips-Theater, Berlin

Rezension von Mohamed Said (Q34)

Während ihrer Erasmus-Studienfahrt nach Berlin besuchten die Teilnehmer des Seminarfachs „Flucht und Migration in Pop, Film und Literatur“ die Aufführung von “Das Heimatkleid” im Berliner Kinder- und Jugendtheater Grips- Podewill.

Im Mittelpunkt des Stücks steht Claire, gespielt von Katja Hiller, welche trotz ihrer Augenringe vor Energie strotzt. Katja Hiller ist die einzige Schauspielerin und sie verkörpert mehrere Figuren in ihrem sechzigminütigen Monolog. Ihre Hauptfigur Claire ist eine junge Frau, die sich um Wohnung, Hund Flocke und Fashionblog der Schwester kümmern muss. Die Schwester hat Claire eine Gebrauchsanleitung und einen Karton hinterlassen. In diesem steckt das blau-weiß-rote Heimatkleid, welches Claire beim Interview mit der Designerin von “Heimatkleid” tragen soll. Das Konzept von "Heimatkleid"  findet Claires Sympathie. Ihr gefällt die Idee von einem ökologisch nachhaltigen Kleid, bei dessen Herstellung bewusst auf die Produktion in Armutsländern verzichtet wurde und von dem die Herstellerin stolz behauptet, dass es "komplett deutsch" sei. Das Interview wird von einer wütenden Menge unterbrochen, welche rote Farbbeutel an die Fenster schmeißt und “Nazis raus” brüllt. Claire kann dies nicht nachvollziehen und ist verwirrt. Die Designerin hilft ihr, das Heimatkleid richtig zu binden. Kann ein so netter Mensch ein Nazi sein? Nachdem Claire das verstörende Interview beendet hat, bekommt sie zurück in der Wohnung der Schwester das festgeschnürte Heimatkleid nicht mehr aus. Sie bittet ihren attraktiven Nachbarn Tom um Hilfe. Der hilft aber nicht wirklich, sondern holt einen Werbeballon der Partei “DH” und predigt ihr am Beispiel von Gewürzen, wie schlecht Mischungen seien. Die sonst so lebhafte Claire wird immer nachdenklicher. Ihr innerer Konflikt wird von einem äußeren gespiegelt. Die Nachbarn streiten sich und dieser Streit eskaliert nach dem Tod von Flocke, dem Schäferhund. Der offen fremdenfeindliche Tom verdächtigt den neu eingezogene Syrer Al Sayed und Claire glaubt ihm zunächst.

Katja Hiller spielt ihre verschiedenen Rollen sehr überzeugend. Die prallen Farben ihrer Kleidung stechen vor dem weißen Hintergrund heraus und leiten den Fokus auf sie. Zudem ist sie Teil eines perfekt eingespielten Dreiergespanns, bestehend aus dem Live-Musiker Johannes Gehlmann und einem Beleuchter, mit dessen Hilfe atmosphärisch dicht und ohne Verzögerungen das Bühnenbild umgestaltet wird. Ihr perfektes Timing zeigt von großer Erfahrung des Teams.

Das Bühnenbild ist ebenfalls sehr ausdrucksstark. Auf der riesigen Tapete befindet sich das realistische Portrait des Schäferhundes Flocke. Die Augen von Flocke leuchten zwischenzeitlich auf, und aus dem niedlichen Hund wird eine Bedrohung. Flocke ist eine der vielen Metaphern des Stücks und versinnbildlicht einen neu erstarkten Faschismus. Die Audioaufnahmen mit rechtem Gedankengut unterstützen diese Metaphorik.

Parallel zur Veränderung des lieben Haustiers zum bedrohlichen Jäger verändert sich auch der tolle Nachbar Tom zum hetzenden Neonazi. Auf die rechtspopulistische Partei der AFD wird nicht nur durch die verunglimpfenden Äußerungen Toms, sondern auch durch die Farben des Heimatkleids mehr oder weniger direkt angespielt. Dieses Kleid erstickt Claire fast und sie hat große Schwierigkeiten, es wieder loszuwerden. Das Stück macht so deutlich, dass neofaschistisches Gedankengut hübsch und harmlos daherkommen kann und es nicht leicht ist, dieses wieder abzulegen.

Bei der Uraufführung im September 2017 wurde „Das Heimatkleid“ als Stück der Stunde gepriesen und es bleibt auch ein gutes Jahr später aktuell und empfehlenswert, auch wenn die von Katja Hiller verkörperten Figuren durchaus die Karikatur streifen und in diesen Überspitzungen nicht durchgehend authentisch sind. Am Ende der Aufführung zeigten sich Mitwirkende und Zuschauer sehr zufrieden. Die Zuschauer drückten ihre Anerkennung durch anhaltenden Applaus aus.

51 Schülerinnenund Schüler fahren zusammen mit ihren Seminarfachlehrern Dr. Etmanski, Beckmannshagen und Rigterink nach Berlin.

Wie auch die drei Erasmus-Seminarfächer steht die dreitägige Studienfahrt unter dem Motto des Projekts: Flucht und Migration.

Marie Voget aus dem Seminarfach "Flucht und Migration in Pop, Film und Literatur" stellt die besondere Reise in ihrem Video vor:

https://youtu.be/vjW6w0VZWkY

 

Es folgen weitere Berichte und Fotos auf diesen Seiten!

... Laura Moddemann und NN berichten über die Westsahara

Am Mittwoch, dem 22. August, berichteten ehemalige Schülerinnen unserer Schule über das Leben im Flüchtlingslager in der Westsahara. Für NN war dies zunächst eine Sprachreise, während Laura Moddemann sich mehr für das Leben in den Flüchtlingcamps interessierte. Die beiden trafen sich in Afrika und wurden von Peter Beckmannshagen zu einem Vortrag für die drei Erasmus-Seminarfächer in der Jahrgangsstufe 12 eingeladen.

In der Aula gingen NN und Moddemann zu Beginn ihrer Power Point Präsentation auf die Geschichte des Westsahara-Konflikts ein. Nach der Besetzung der Westsahara durch Marokko seien über 100.000 Menschen in den Westen Algeriens geflohen. Das Leben in den Camps sei nie einfach gewesen. Internationale Organisationen, wie z. B. der UNHCR, versorgen die Flüchtlinge bis heute regelmäßig mit Wasser und Nahrung. Dinge, die für uns selbstverständlich sind, gibt es dort nicht. Man kann dort nur mithilfe von Solarplatten sein Handy-Akku aufladen. Wenn jemand schwer krank werden sollte, ist es schwierig, an Medikamente heranzukommen.

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Zum Thema Bildung, Arbeit und Kultur haben die beiden Referentinnen festgestellt, dass die Frauen eine wichtige Rolle spielen. Sie seien diejenigen, die versuchen würden, ein normales Leben zu ermöglichen. Schließlich haben sie das Bildungssystem in den Camps aufgebaut. Die Männer hingegen hätten es nicht leicht, eine Arbeit zu finden, weshalb das Verlassen ihrer Heimat als einzige Lösung übrig bleibt. Oft seien sie als Soldaten im Kampf gegen die marokkanischen Besatzer ihrer Heimat. Die Frauen seien auf sich allein gestellt und müssten sich neben der Arbeit um Haushalt und Kinder kümmern.

Bis heute wird bei politischen Entscheidungen, so NN und Moddemann, keine Rücksicht auf die Meinung der Sahrauis genommen. Sie organisieren Demonstrationen, um nicht in Vergessenheit zu geraten. Die Menschen haben nach all den Jahren die Hoffnung auf einen unabhängigen Staat nicht verloren. Ein Wunsch von Laura Moddemanns Gastfamilie im Camp war, sie solle in Deutschland erzählen, wie die Lebensumstände der Campbewohner sind.

Nach dem ansprechenden Vortrag regten die Referentinnen mit drei Fragen die Diskussion der Seminarfachteilnehmer an. Die Aufgabe der UN und der EU, aber auch die Verantwortung des Einzelnen wurden dabei angesprochen.

Ala Yousuf Q3
Erasmus-Seminarfach "Flucht und Migration in einer globalisierten Welt"

Anmerkung: Der Name einer Referentin wurde auf ihren Wunsch anonymisiert