Vortrag des Zeitzeugen Siegbert Schefke

Am 18.6.2015 konnte Frau Beckmannshagen in der Aula unseres Gymnasiums den Journalisten und Filmemacher Siegbert Schefke begrüßen. Drei Klassen des Jahrgangs 10, drei Geschichtskurse der Q12 sowie viele weitere interessierte Schülerinnen, Schüler und Lehrer erlebten 100 interessante Minuten, in denen der schon mehrfach ausgezeichnete „Kameramann der deutschen Einheit“ von seinem Leben und Leiden in und an der DDR und seiner spektakulären Rolle im Zusammenhang mit der ‚friedlichen Revolution‘ im Umfeld des 9. November 1989 berichtete.

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Schefke, Jahrgang 1959, schilderte anschaulich, wie er schon als Kind und Jugendlicher an den Begründungen des DDR-Systems zweifelte, dass die ‚Mauer‘ ihn vor dem ‚bösen Westen‘ schützen würde, lebte doch in Recklinghausen seine ‚West-Oma‘, die ihn zwar ab und zu besuchen kam, die er selbst aber voraussichtlich in den nächsten 50 Jahren - bis er selbst Rentner geworden sei – nicht würde besuchen dürfen. Dieses Gefühl unsinniger Repression zog sich dann durch die weiteren biografischen Stationen: Ihm wurde bürokratisch verwehrt Abitur zu machen; erst nach einer dreijährigen Baufacharbeiterausbildung erhielt Scheffke das Fachabitur. Als schrecklich empfand er die eineinhalb Jahre Militärzeit. Er hätte sich freiwillig auf drei Jahre Militärdienst verpflichten müssen, um seinen Wunsch, ein Architekturstudium anzuschließen, realisieren zu können. Da er einen solchen Zwang nicht akzeptierte, durfte Schefke ‚nur‘ Bauingenieur werden. Mit 25 hatte er sein Studium abgeschlossen und immer nagte der Gedanke: Noch 40 Jahre warten, bis man selbst nach London, Paris, Rom reisen durfte?!  Immerhin waren Reisen in die ‚Ostblockstaaten‘ möglich. In Ungarn konnte man westliche Zeitungen und Literatur lesen und kaufen. Allerdings ‚filzten‘ ihn die DDR-Grenzer und er musste Heinrich Bölls ‚Ansichten eines Clowns‘ als ‚staatsfeindliche Propaganda‘ abgeben. So geriet Scheffke schon früh in den Fokus der Staatssicherheit (Stasi), die ihn observierte und unzählige Berichte über ihn verfasste.

Siegbert Schefke lebte damals in Ostberlin am Prenzlauer Berg, wo sich schon zu DDR-Zeiten ein ‚buntes Völkchen‘ jugendlicher Subkultur, Wohnungsbesetzer, Künstler und Regimegegner zusammenfand. Hier reifte die Idee, die DDR-Bürger nur auf eine Weise über den ‚wirklichen Zustand‘ ihres Staates informieren zu können: Wenn unzensiertes, authentisches Bildmaterial über die Westmedien (ARD, ZDF, 3. Programm) in die DDR gesendet würde. Mit Hilfe von Roland Jahn, der auf brutale Weise von der DDR ausgebürgert wurde und in Westberlin lebte, gelang es über einen Diplomaten, der nicht kontrolliert wurde, eine Kamera zu bekommen und 25 gedrehte Filme zurückzuschleusen. So berichteten Siegbert Schefke und sein Freund Aram Radomski seit 1987 anonym über die maroden Verhältnisse in zerfallenden Altstädten der DDR und über vertuschte Umweltkatastrophen.

‚Berühmt‘  wurden die beiden Filmemacher aber durch ihre spektakulären Aufnahmen von der Leipziger Montagsdemonstration am 9. Oktober 1989, die sie von einem Kirchturm aus machten. Da sie von der Stasi verfolgt wurden, gingen sie das Risiko ein, für diese Handlung jahrelang inhaftiert zu werden. Die Filmkassette wurde durch den Diplomaten in den Westen geschmuggelt, der Film über die Abendnachrichten der ARD verbreitet und so auch der DDR-Bevölkerung zugänglich, sodass die Zahl der Demonstranten zügig in den folgenden Wochen anstieg, bis die DDR-Regierung diese nicht mehr totschweigen konnte. Diesem Film kam somit die Schlüsselrolle einer Initialzündung für die ‚friedliche Revolution‘ in der DDR zu; er ist von daher ein wichtiges politisches Zeitdokument.

Insgesamt erlebten die Zuhörenden einen sehr lebendigen, authentischen Vortrag mit kurzer dokumentarischer Videoeinspielung, der nicht nur sehr informativ und unterhaltsam war, sondern stellenweise auch emotional ‚unter die Haut‘ ging, weil hier ‚Geschichte zum Anfassen‘ und eine Persönlichkeit mit Vorbildqualitäten sichtbar wurden.

Torsten Kaufmann