Am Donnerstag, den 15. 06., konnten im Gymnasium Nordhorn, wie auch schon in den vorausgegangenen Jahren, polnische Holocaust-Überlebende begrüßt werden. Mit der Unterstützung von Dolmetschern berichteten sie in den fünf Klassen der Jahrgangsstufe 9, die sich z. Zt. im Geschichtsunterricht mit dem Nationalsozialismus befassen, von ihren persönlichen Schicksalen und Lebenswegen.

Krystyna Budnicka, Urszula Koperska, Josefa Posch-Kotyrba, Maria Stroinska und Irena Szczurek wurden in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts geboren; sie erlebten und überlebten im Alter von 4 bis 13 Jahren die nationalsozialistischen Rassen-, Kriegs- und Besatzungsmaßnahmen, die ihre Familien zum großen Teil auslöschten und ihr eigenes Leben nachhaltig prägten. Zwei Zeitzeuginnen mit jüdischen Wurzeln überlebten als einzige ihrer Familien den Holocaust, z. B. als einzige von acht Geschwistern und einer weitverzweigten Großfamilie.

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Sie berichteten von den Zuständen im Ghetto, in das die Familien deportiert wurden, von Razzien, Brutalitäten, unterirdischen Verstecken, dem Sterben von Familienangehörigen. Im Mittelpunkt eines anderen Berichtes stand die Rettung aus dem Ghetto als Vierjährige, vor der Räumung des Ghettos und der Deportation der Familie ins Vernichtungslager, ermöglicht durch den Mut des nicht-jüdischen Kindermädchens, die das Mädchen als eigene Tochter ausgab und aus dem Ghetto schmuggelte. "Ein Kilo Zucker als Prämie für den Verrat eines untergetauchten Juden" - vielleicht war das der Grund, warum Bruder und Vater plötzlich nicht mehr in ihrem Versteck waren - ausgelöscht, keine Spur, kein Grab. Das Schicksal einer weiteren Zeitzeugin stand im Zusammenhang mit der Verbindung des Vaters zum polnischen Untergrund, die 1943 zur Verhaftung der gesamten Familie führte, zur Ermordung der Mutter in Auschwitz und zum Durchleiden von vier Lageraufenthalten im Alter von 5 bis 7 Jahren. Als Acht- bzw. Zwölfjährige wurden zwei der Zeitzeuginnen im August 1944 nach Ausbruch des Warschauer Aufstandes mit ihren Familien nach Auschwitz deportiert, ein Schicksal, das sie mit tausenden Warschauer Bürger teilten. Der Verlust des Zuhauses, des Vaters oder von Geschwistern, die Trennung von der Mutter, die Grauen des Lagerlebens mit Hunger, katastrophaler Hygiene, Krankheiten, Ängsten, dem Wissen um das Geschehen in den "Duschen" standen im Mittelpunkt der Berichte. Aber auch aus den Lebensläufen nach dem Krieg, von guten Fügungen und liebevollen Menschen, von der Möglichkeit, trotz der schweren Kinderschicksale ein glückliches Leben führen zu können, war zu hören.

Nach konzentriertem Zuhören nutzten die SchülerInnen zahlreich die Gelegenheit zum Nachfragen. Deutlich war das Interesse der SchülerInnen am Geschehen und dem Schicksal dieser Frauen, und spürbar war die Atmosphäre von Authentizität und Teilhabe an "echter" gelebter Geschichte. Im Bewusstsein, dass die kommunikative, originale Vermittlung dieser Geschichte nicht mehr lange zur Verfügung stehen wird, sind wir dankbar für das Engagement dieser Damen und für einen eindrücklichen Geschichts"unterricht" am Gymnasium Nordhorn.

Karin Beckmannshagen